boten
Installation und Performance FHNW Campus Brugg 2017
(...) Was bewirken körperliche Sensationen und wo und wie suchen wir sie, wie finden wir einen Umgang mit ihnen? Patienten, die sich selber verletzten, um sich zu spüren, um mentale Schmerzerfahrungen zu «übertönen», werden im Kontext der dialektisch-behavorialen Behandlung mit Hilfe eines «Notfallkoffers» resp. mit den sich darin befindenden Dingen therapiert. Der Koffer besteht aus einer Sammlung von Instrumenten, die leichte Schmerzen verursachen wie beispielsweise brennende Hautsalben, kleine Steine, die man in die Schuhe legen kann und andere „Hausmittel“, um sich der Empfindung des Schmerzes und also auch der speziellen Wahrnehmung auszusetzen. Brennnesseln sind keine im Koffer zu finden, könnten aber für denselben Zweck als Substitut zum Einsatz kommen. Der Künstler fragt an dieser Stelle nach der Analogie zwischen Ersatzhandlung und Kunst: Ist der beschriebene Mechanismus vergleichbar mit Kunst? Ist Kunst sozusagen ein Notfallkoffer? Weiter könnte gefragt werden: Ist Kunst erst Kunst, wenn sie Empfindungen auszulösen vermag? Ist es die Kunst der Kunst, über die Sinne oder mittels Anschauung und Vorstellung Themen, die unter die Haut gehen, die schmerzen, die verstören, brennnesselartig in Sichtbarkeit und in kontrollierbarer, dosierter Form in Verhandlung zu bringen? Oder entwickelt sich der Wundbrand, der in Auseinandersetzung mit Kunst entstehen kann, subkutan und zeitlich verschoben, ev. doch in einen Flächenbrand über die Kunst hinaus, mitten in die Gesellschaft hinein?
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Wenn wir eine Brennnessel berühren, erhalten wir als Antwort diesen brennend-stechenden und gleichzeitig auch dumpfen Schmerz. Er entsteht einerseits durch Ameisensäure, aber auch durch Serotonin (Botenstoff, der auch als Glücksbringer bekannt ist). Dieser Schmerz, der schliesslich oszillierend in seiner Auflösung aufgeht, findet sich auf akustisch übersetzte Weise wieder in der Stimmgitarre, welche der Künstler und Komponist entwickelt hat. Mittels eines über den Saiten montierten Lautsprechers wird die Stimme mechanisch auf die Saiten übertragen. Das Tastende als Dimension und Dynamik geht verloren, während Wärmeempfindungen resp. Klangfarben als neue Dimensionen in der Transformation zurückkommen.
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